Als
die gezackte Schlange durch den Sumpf glitt, spalteten sich das Gras
und der triefende Schlamm unter ihrem Gewicht. Sie war sich ziemlich
bewusst, dass sie fast unantastbar war. Die Geister hatten ihr ein
amphibitöses Muskelgewabbel verliehen. So konnte sie sich nicht nur
tarnen, sondern auf Land wie auch im Wasser existieren. Auch hatte
sie verlernt in der Zeit zu träumen, so sehr war die Gegenwart von
bedingungsloser Aufmerksamkeit durchtränkt. Ihre Realität war in
einen Wachzustand uebergegangen, wobei ihr rechtes Auge exstatisch
zuckte, wenn die Visionen dieser Welt sie durchstrahlten. Sie konnte
andere Wesen von Weitem orten, um sie sich dann ruckartig ihre Opfer
einzuverleiben. Eigentlich war sie hier am Urgrund ihrer Natur, nur
ein Werkzeug eines grösseren Ganzen, doch es gab kein wirkliches
Halten ihrer gewohnheitsmässig neugierigen Urspruenglichkeit.
Eigentlich ging es um das grosse Fressen in der endlichen Weite
dieses mystischen Waldes, welcher Unmengen von Nahrung versprach.
Dies war ihre ureigenste Natur. Und dennoch hatte auch dieses
vibrierende Geschöpf seine Zweifel an der eigentlichen Aufgabe ihres
Selbst. Wenn sie anfing ueber die Dinge, welche sie permanent
umgaben, nachzudenken, musste sie sich eingestehen, dass sie neben
den fast 30% Eigengewicht, welches sie durch das Denken einbuesste,
auch in die Falle der idealistischen Selbsttötung getappt war. Sie
tötete um zu ueberleben! Und ob es nun wirklich der Balance oder
ihrem Hunger entsprach, konnte sie beim besten Willen nicht
beurteilen. Aber da die grosse Schlange sich in Windeseile vermehrte,
wuerde es irgendwann einmal eine Luecke in der Nahrungskette geben.
Und nur wenn sie voll und ganz ihr Ego, ihre Meinung und ihr Sein
atmete, stellte sie sich vor, ganz zu sein. Aber war vielleicht nicht
auch diese eigene Vorstellung eine Illusion? War sie auch nur einmal
bereit, sich selbst aufzugeben, ihre eigentliche Haut abzustreifen,
wie einen kleinen Dank an die Schöpfung. Demut war nicht wirklich
ihre Stärke. Sie wollte kraftvoll sein, sich reproduzieren, ihre
eigenen Sinne schärfen, manchmal zu den Geistern reisen, wenn diese
es denn zuliessen, um etwas Selbstbestätigung ihrer Vorstellung zu
ernten. Und waren nicht auch diese Geister nur eine Reproduktion
ihrer eigenen Vorstellungskraft. Nichts war sicher, soviel wusste sie
bereits. Ihr ganzer Körper wuerde irgendwann schächer und schwächer
werden, ihre Sexualität wuerde verblassen, ihre Geisteskraft wieder
in Amnäsia uebergehen, und dann wuerde sie gefressen werden, wie
alle Lebensformen auf diesem Planeten. Sie wuerde ein Staubkorn im
Kosmos sein, ganz ohne Sinnlichkeit oder Vernunft. Im innersten
unbewussten Sein, welches sie in grossen Mengen umgab, war sie
unbändige Angst. Deshalb frass sie Realität. Wuetend vernetzte sie
in ihrer schwarzen Pracht die Neugier mit ihren Werten, und umgarnte
sich mit anderen Illusionen wie Spiritualität, Philosophie oder mit
anderen Worten liess sie ihrem sexuellen Ego freien Lauf. Ihr
eigentlich beispiellos gestaltetes, geheimnisvoll leeres Ich wurde zu
einer unbewussten Huelle, nur verstand sie nicht, was dies in ihrem
Geltungsdrang bedeuten konnte! Deshalb uebergab sie sich in die Beschäftigungen ihres Schlangendarseins! Ausprobieren, um des
ausprobieren Willens. Willenlos getrieben von anderen Ideen, zwar
reflektierend aber ungebremst. Ein Rennen auf einer Treppe ohne
Stufen. Ein durstiges Trinken ohne die unendlichen Weiten des Meeres.
Als Spielball der Gegensätze. Und immer wieder umgab sie, trotz
ihrer Grösse, diese Angst...die Angst des universellen Chaos und
ihres unvermeidlichen Todes!
Sie
hatte viele Wesen um Rat gebeten. Doch zumeist, wenn sie ganz ehrlich
war, hatten diese nur Meinungen von sich gegeben, die eigentlich
nichts zur Sache taten. So kroch sie, in ihrem Darsein gefangen,
einsam und verstört durch diese Suempfe, ohne zu wissen, was sie
eigentlich suchte.
Im
Uebrigen hatte sie immer wieder die Vermutung, dass alle Dinge
irgendwie absolute Ähnlichkeit besassen. Es waren chemische
Prozesse, die ihren Organismus anstachelten. Und da einer der
grundlegenden Organismen ihr unbändiger Hunger war, war sie
permanent auf der Suche nach neuen Tatsachen am Horizont, nach
anderen Opfern, nach dem ewigen Ersetzen aus Zuständen in der
grossen Zeit. Da die Langeweile nur als kleine Babyschlange genuegt
hatte, war sie geistig von ihren elementaren Aufgaben abgekommen. Sie
zweifelte an den bestehenden Tatsachen dieser
Existenz...Genuegsamkeit war nicht ihre Tugend!
Jede
ihrer Handlungen rief neue Handlungen hervor. Es war wie ein
Schattenspiel, obwohl sie meinte anhand von Pflanzenwirkstoffen sich
selbst erkennen zu können. So baute sie anhand von Neigungen ihre
neue Aura.
Natuerlich
war sie nicht wirklich selbst vorhanden, sondern nur in ihrer eigenen
Natur gefangen. Es waren immer nur unbewusste Bilder, welche die
gleiche Folge von unvermeidlicher Re-produktion hervorriefen. Sie war
ein Killer, eine Bestie fuer andere Lebewesen. Sie dachte
ausschliesslich an sich selbst. Ihr Stamm war das animalische Ego
ihrer unbeherrschten Ichhaftigkeit.
Insgeheim
wusste sie, dass sie ihrer Natur entsprechen musste. Und dennoch, als
Schlange und Jäger, hatte sie nie wirklich gelernt sich einzufuegen.
Wenn sie die Wesen ihrer Umgebung beobachtete, bemerkte sie, dass
auch diese sich vor ihrer Natur fuerchteten...die Angst hatte schon
lange den Platz der Stille uebernommen...
Draussen
im Wald war sie die lautlos Gleitende, welche in sekundenschnelle
ihre Gefährten strangulierte. Die Lebendigkeit liess keine andere
Form zu.
Sie
dachte an Unabhängigeit, war aber selbst so animalisch eingebunden,
wie jeder kleinste Käfer in diesem Wald. Sie war nicht besser als
andere Lebensformen, aber keiner war vor ihr sicher. Sie konnte ja
gar nichts anderes als sich in ihre Natur einzufuegen, so dachte sie
zumindest. Aber wenn sie durch den Urwaldschlamm glitt, auf der Suche
nach einem neuen Opfer, welches ihre Existenz neu beseelte, dachte
sie so manchmal darueber nach, was ihre eigentliche Form war? Konnte
es noch etwas anderes als Angst und Strangulieren, das Recht des
Stärkeren in dieser Undurchdringlichkeit geben?
Irgendwo
in der Zeit gab es die unterschiedlichsten Lebensformen. Alles
uebergab sich der Tendenz des Ueberlebens, liess sich auf die
Strukturen dieses Lebens ein, nur um einsehen zu muessen, dass die
eigene Unzulänglichkeit an Erkenntnis zu eigener Selbstzerstörung
fuehrte.
Irgendwo
am anderen Ende des Dschungels hatte die Erosion der Erde einige
Anhöhen geschaffen, wobei nur die wenigsten Lebensformen gewillt
waren, in dieser Ödnis aus Felsen, Schnee und Eis zu leben. Doch
diese Wesen, welche den Himmel in ihr Herz genommen hatten, wollten
hier verweilen, um sich mit etwas Abstand einige Zufälligkeiten
dieser Welt zu betrachten. Diese Form des Erlebens, in einer
distanzierten Sichtweise, im ”Nicht- Beruehren-Muessens”, im
”Nicht-Bewerten-Muessens” dieser Welt war der Zustand von
Individuen, welche versuchten ihre eigene Identität durch eine
Intigrität des absoluten Gewahrseins zu ersetzen. Manchmal sassen
sie fuer Jahre einfach nur ganz entspannt da, und betrachteten das
Ganze. Ihnen war nun wirklich nicht diese absurde Dekadenz zu eigen,
welche im Dschungel tobte. Es war das Reich der Grenzueberschreiter,
der einsamen Himmelstänzer, der Traumdeuter und Geschichtenerzähler,
aber eigentlich brauchten sie keine Titel, keine Maskeraden, um die
Welt abzustreifen und sie so sein zu lassen, wie sie eben war. Unter
ihnen gab es auch das ein oder andere einsame Tier, welche die
grossen Anhöhen majestätisch durchschreitete. Ein Schneeleopard lag
auf seinem Felsen und sah mit seinen allesdurchdringenden Augen auf
die Grotten der Einsiedler, welche hier ihre Askese ekstatisch
erlebten. Im Inneren war er natuerlich sehr hungrig. Aber allein die
Existenz dieser Durchsichtigkeit der Asketen schaffte eine Art von
Wahrnehmung, der sein Instinkt nicht folgen konnte. Fuer den
Leoparden waren seine Nachbarn ähnlich der Qualität von Luft, Wind
oder Regenbogen. Nichts war wirklich greifbar, und wo keine Vibration
entsteht, gibt es zwar den universellen Hunger, aber keine Beruehrung
und kein Opfer.
Durch
zeitloses Innehalten entstand ein Vakuum, welches ganz abstrakt wie
die erste ungeborene Seele wirkte. Durch ihr Selbstopfer hatten
einige sich dem Sinn der Glueckseligkeit, des Sterbens, wie auch der
Suche enthoben. Ihnen war es ganz einfach egal geworden, dass
Gegensätze existieren. Zwar zerfielen ihre Körper ebenso, wie der
Körper der Dschungelschlange oder des Leoparden, doch war es ihnen
nicht besonders wichtig. Vielleicht hatten sie erkannt, dass die
Absolutheit keinerlei Existenz bedarf, da alle Dinge nach etwas
Besonderen streben, um es oftmals nur in der Phantasie zu erreichen.
Wenn die Beduerfnisse verringert wurden, entstand weniger Wiederstand
und die Extreme der Emotionen begannen sich beinahe verschwindend
auszugleichen. Die Akzeptanz kannte keine Wirkung mehr. Man wurde
unvermittelt von einer Ganzheit erfuellt, die einen absoluten
Lebensfrieden erlebte. Die Asketen hatten erkannt, dass Kleinheit und
Demut eine Filtrierung des Erlebens bedeuten, und eine Annäherung an
die erste Ursache allen Lebens war. Es war eine Möglichkeit in die
Spirale der weltallartigen Unendlichkeit zurueckzukehren. So
imitierten sie in Reduktion ihren Ursprung, und wurden nach
langjährigen Meditationen eins mit ihrer eigenen Nichtigkeit. Sie
verstanden ganz einfach, dass es keinen wirklichen Sinn bedarf, um
dieses Leben in Siebenmeilenstiefeln zu durchschreiten. Auch konnte
der ein oder andere Asket ein Teilstueck seines Lebens die
Menschenwelt beobachten. Ihre animalischen Triebe und Ängste, ihre
permanente Aktivität, ihren Geltungsdrang und ihren Grössenwahn.
Deshalb entschieden sie sich unter der Alternative des Ausgleichs
fuer die Reduktion aller Lebensfähigkeit. Ihre Urmutter war die
universelle schwarze Huelle dieser so vielfältigen, gegensätzlichen
Form unserer Wahrnehmung und ihre Technik war die des Wartens....
Als
irgendwann in der grosser Zeit die Huelle beider Lebensformen zu
schmilzen begann, alles sich auf ihrem Lebenodem der Erde veränderte,
wie es sich immer irgednwo und irgendwann verändert, mussten die
Asketen eben sterben oder ihren Platz auf dem Berge verlassen. Auch
die Schlange kroch ganz ähnlich in ihrer Urnatur des
Selbsterhaltungsdrangs aus dem heimatlichen Dschungel auf die freie,
nackte Erde. Als sich beide nun trafen, verschluckte die Urschlange
den Asketen, welcher demuetig sein Haupt zur Nahrung senkte. Die
Schlange in ihrer neugierigen Natur befriedigte ihren Urhunger. Und
so wurde der Geist des Himmels mit den Suempfen der Erde verbunden,
und beide leben in ihrem Idealismus mit einem grossen Hauch Illusion
verkleidet, um sich und ihre Art zu vollenden. Die Schlange wird wohl
immer in Angst zergehen und töten, um leben zu können. Der Asket
hingegen wird am Ende gar nichts bewirken...Und die grosse Welt? Die
individuelle Welt ist ein verspinnerter kleiner Witz, ein Lächeln am
Rand der Zeit, eine Vermutung, eine Beschäftigung und nicht viel
mehr...der Rest wird sich selbst neu erfinden – auch ganz ohne
meine Art!
(Valbona,
Albanien Mai 2017)
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