Saturday, 6 May 2017

...ueber Leben und Sterben...

Als die gezackte Schlange durch den Sumpf glitt, spalteten sich das Gras und der triefende Schlamm unter ihrem Gewicht. Sie war sich ziemlich bewusst, dass sie fast unantastbar war. Die Geister hatten ihr ein amphibitöses Muskelgewabbel verliehen. So konnte sie sich nicht nur tarnen, sondern auf Land wie auch im Wasser existieren. Auch hatte sie verlernt in der Zeit zu träumen, so sehr war die Gegenwart von bedingungsloser Aufmerksamkeit durchtränkt. Ihre Realität war in einen Wachzustand uebergegangen, wobei ihr rechtes Auge exstatisch zuckte, wenn die Visionen dieser Welt sie durchstrahlten. Sie konnte andere Wesen von Weitem orten, um sie sich dann ruckartig ihre Opfer einzuverleiben. Eigentlich war sie hier am Urgrund ihrer Natur, nur ein Werkzeug eines grösseren Ganzen, doch es gab kein wirkliches Halten ihrer gewohnheitsmässig neugierigen Urspruenglichkeit. Eigentlich ging es um das grosse Fressen in der endlichen Weite dieses mystischen Waldes, welcher Unmengen von Nahrung versprach. Dies war ihre ureigenste Natur. Und dennoch hatte auch dieses vibrierende Geschöpf seine Zweifel an der eigentlichen Aufgabe ihres Selbst. Wenn sie anfing ueber die Dinge, welche sie permanent umgaben, nachzudenken, musste sie sich eingestehen, dass sie neben den fast 30% Eigengewicht, welches sie durch das Denken einbuesste, auch in die Falle der idealistischen Selbsttötung getappt war. Sie tötete um zu ueberleben! Und ob es nun wirklich der Balance oder ihrem Hunger entsprach, konnte sie beim besten Willen nicht beurteilen. Aber da die grosse Schlange sich in Windeseile vermehrte, wuerde es irgendwann einmal eine Luecke in der Nahrungskette geben. Und nur wenn sie voll und ganz ihr Ego, ihre Meinung und ihr Sein atmete, stellte sie sich vor, ganz zu sein. Aber war vielleicht nicht auch diese eigene Vorstellung eine Illusion? War sie auch nur einmal bereit, sich selbst aufzugeben, ihre eigentliche Haut abzustreifen, wie einen kleinen Dank an die Schöpfung. Demut war nicht wirklich ihre Stärke. Sie wollte kraftvoll sein, sich reproduzieren, ihre eigenen Sinne schärfen, manchmal zu den Geistern reisen, wenn diese es denn zuliessen, um etwas Selbstbestätigung ihrer Vorstellung zu ernten. Und waren nicht auch diese Geister nur eine Reproduktion ihrer eigenen Vorstellungskraft. Nichts war sicher, soviel wusste sie bereits. Ihr ganzer Körper wuerde irgendwann schächer und schwächer werden, ihre Sexualität wuerde verblassen, ihre Geisteskraft wieder in Amnäsia uebergehen, und dann wuerde sie gefressen werden, wie alle Lebensformen auf diesem Planeten. Sie wuerde ein Staubkorn im Kosmos sein, ganz ohne Sinnlichkeit oder Vernunft. Im innersten unbewussten Sein, welches sie in grossen Mengen umgab, war sie unbändige Angst. Deshalb frass sie Realität. Wuetend vernetzte sie in ihrer schwarzen Pracht die Neugier mit ihren Werten, und umgarnte sich mit anderen Illusionen wie Spiritualität, Philosophie oder mit anderen Worten liess sie ihrem sexuellen Ego freien Lauf. Ihr eigentlich beispiellos gestaltetes, geheimnisvoll leeres Ich wurde zu einer unbewussten Huelle, nur verstand sie nicht, was dies in ihrem Geltungsdrang bedeuten konnte! Deshalb uebergab sie sich in die Beschäftigungen ihres Schlangendarseins! Ausprobieren, um des ausprobieren Willens. Willenlos getrieben von anderen Ideen, zwar reflektierend aber ungebremst. Ein Rennen auf einer Treppe ohne Stufen. Ein durstiges Trinken ohne die unendlichen Weiten des Meeres. Als Spielball der Gegensätze. Und immer wieder umgab sie, trotz ihrer Grösse, diese Angst...die Angst des universellen Chaos und ihres unvermeidlichen Todes!
Sie hatte viele Wesen um Rat gebeten. Doch zumeist, wenn sie ganz ehrlich war, hatten diese nur Meinungen von sich gegeben, die eigentlich nichts zur Sache taten. So kroch sie, in ihrem Darsein gefangen, einsam und verstört durch diese Suempfe, ohne zu wissen, was sie eigentlich suchte.
Im Uebrigen hatte sie immer wieder die Vermutung, dass alle Dinge irgendwie absolute Ähnlichkeit besassen. Es waren chemische Prozesse, die ihren Organismus anstachelten. Und da einer der grundlegenden Organismen ihr unbändiger Hunger war, war sie permanent auf der Suche nach neuen Tatsachen am Horizont, nach anderen Opfern, nach dem ewigen Ersetzen aus Zuständen in der grossen Zeit. Da die Langeweile nur als kleine Babyschlange genuegt hatte, war sie geistig von ihren elementaren Aufgaben abgekommen. Sie zweifelte an den bestehenden Tatsachen dieser Existenz...Genuegsamkeit war nicht ihre Tugend!
Jede ihrer Handlungen rief neue Handlungen hervor. Es war wie ein Schattenspiel, obwohl sie meinte anhand von Pflanzenwirkstoffen sich selbst erkennen zu können. So baute sie anhand von Neigungen ihre neue Aura.
Natuerlich war sie nicht wirklich selbst vorhanden, sondern nur in ihrer eigenen Natur gefangen. Es waren immer nur unbewusste Bilder, welche die gleiche Folge von unvermeidlicher Re-produktion hervorriefen. Sie war ein Killer, eine Bestie fuer andere Lebewesen. Sie dachte ausschliesslich an sich selbst. Ihr Stamm war das animalische Ego ihrer unbeherrschten Ichhaftigkeit.
Insgeheim wusste sie, dass sie ihrer Natur entsprechen musste. Und dennoch, als Schlange und Jäger, hatte sie nie wirklich gelernt sich einzufuegen. Wenn sie die Wesen ihrer Umgebung beobachtete, bemerkte sie, dass auch diese sich vor ihrer Natur fuerchteten...die Angst hatte schon lange den Platz der Stille uebernommen...
Draussen im Wald war sie die lautlos Gleitende, welche in sekundenschnelle ihre Gefährten strangulierte. Die Lebendigkeit liess keine andere Form zu.
Sie dachte an Unabhängigeit, war aber selbst so animalisch eingebunden, wie jeder kleinste Käfer in diesem Wald. Sie war nicht besser als andere Lebensformen, aber keiner war vor ihr sicher. Sie konnte ja gar nichts anderes als sich in ihre Natur einzufuegen, so dachte sie zumindest. Aber wenn sie durch den Urwaldschlamm glitt, auf der Suche nach einem neuen Opfer, welches ihre Existenz neu beseelte, dachte sie so manchmal darueber nach, was ihre eigentliche Form war? Konnte es noch etwas anderes als Angst und Strangulieren, das Recht des Stärkeren in dieser Undurchdringlichkeit geben?
Irgendwo in der Zeit gab es die unterschiedlichsten Lebensformen. Alles uebergab sich der Tendenz des Ueberlebens, liess sich auf die Strukturen dieses Lebens ein, nur um einsehen zu muessen, dass die eigene Unzulänglichkeit an Erkenntnis zu eigener Selbstzerstörung fuehrte.

Irgendwo am anderen Ende des Dschungels hatte die Erosion der Erde einige Anhöhen geschaffen, wobei nur die wenigsten Lebensformen gewillt waren, in dieser Ödnis aus Felsen, Schnee und Eis zu leben. Doch diese Wesen, welche den Himmel in ihr Herz genommen hatten, wollten hier verweilen, um sich mit etwas Abstand einige Zufälligkeiten dieser Welt zu betrachten. Diese Form des Erlebens, in einer distanzierten Sichtweise, im ”Nicht- Beruehren-Muessens”, im ”Nicht-Bewerten-Muessens” dieser Welt war der Zustand von Individuen, welche versuchten ihre eigene Identität durch eine Intigrität des absoluten Gewahrseins zu ersetzen. Manchmal sassen sie fuer Jahre einfach nur ganz entspannt da, und betrachteten das Ganze. Ihnen war nun wirklich nicht diese absurde Dekadenz zu eigen, welche im Dschungel tobte. Es war das Reich der Grenzueberschreiter, der einsamen Himmelstänzer, der Traumdeuter und Geschichtenerzähler, aber eigentlich brauchten sie keine Titel, keine Maskeraden, um die Welt abzustreifen und sie so sein zu lassen, wie sie eben war. Unter ihnen gab es auch das ein oder andere einsame Tier, welche die grossen Anhöhen majestätisch durchschreitete. Ein Schneeleopard lag auf seinem Felsen und sah mit seinen allesdurchdringenden Augen auf die Grotten der Einsiedler, welche hier ihre Askese ekstatisch erlebten. Im Inneren war er natuerlich sehr hungrig. Aber allein die Existenz dieser Durchsichtigkeit der Asketen schaffte eine Art von Wahrnehmung, der sein Instinkt nicht folgen konnte. Fuer den Leoparden waren seine Nachbarn ähnlich der Qualität von Luft, Wind oder Regenbogen. Nichts war wirklich greifbar, und wo keine Vibration entsteht, gibt es zwar den universellen Hunger, aber keine Beruehrung und kein Opfer.
Durch zeitloses Innehalten entstand ein Vakuum, welches ganz abstrakt wie die erste ungeborene Seele wirkte. Durch ihr Selbstopfer hatten einige sich dem Sinn der Glueckseligkeit, des Sterbens, wie auch der Suche enthoben. Ihnen war es ganz einfach egal geworden, dass Gegensätze existieren. Zwar zerfielen ihre Körper ebenso, wie der Körper der Dschungelschlange oder des Leoparden, doch war es ihnen nicht besonders wichtig. Vielleicht hatten sie erkannt, dass die Absolutheit keinerlei Existenz bedarf, da alle Dinge nach etwas Besonderen streben, um es oftmals nur in der Phantasie zu erreichen. Wenn die Beduerfnisse verringert wurden, entstand weniger Wiederstand und die Extreme der Emotionen begannen sich beinahe verschwindend auszugleichen. Die Akzeptanz kannte keine Wirkung mehr. Man wurde unvermittelt von einer Ganzheit erfuellt, die einen absoluten Lebensfrieden erlebte. Die Asketen hatten erkannt, dass Kleinheit und Demut eine Filtrierung des Erlebens bedeuten, und eine Annäherung an die erste Ursache allen Lebens war. Es war eine Möglichkeit in die Spirale der weltallartigen Unendlichkeit zurueckzukehren. So imitierten sie in Reduktion ihren Ursprung, und wurden nach langjährigen Meditationen eins mit ihrer eigenen Nichtigkeit. Sie verstanden ganz einfach, dass es keinen wirklichen Sinn bedarf, um dieses Leben in Siebenmeilenstiefeln zu durchschreiten. Auch konnte der ein oder andere Asket ein Teilstueck seines Lebens die Menschenwelt beobachten. Ihre animalischen Triebe und Ängste, ihre permanente Aktivität, ihren Geltungsdrang und ihren Grössenwahn. Deshalb entschieden sie sich unter der Alternative des Ausgleichs fuer die Reduktion aller Lebensfähigkeit. Ihre Urmutter war die universelle schwarze Huelle dieser so vielfältigen, gegensätzlichen Form unserer Wahrnehmung und ihre Technik war die des Wartens....
Als irgendwann in der grosser Zeit die Huelle beider Lebensformen zu schmilzen begann, alles sich auf ihrem Lebenodem der Erde veränderte, wie es sich immer irgednwo und irgendwann verändert, mussten die Asketen eben sterben oder ihren Platz auf dem Berge verlassen. Auch die Schlange kroch ganz ähnlich in ihrer Urnatur des Selbsterhaltungsdrangs aus dem heimatlichen Dschungel auf die freie, nackte Erde. Als sich beide nun trafen, verschluckte die Urschlange den Asketen, welcher demuetig sein Haupt zur Nahrung senkte. Die Schlange in ihrer neugierigen Natur befriedigte ihren Urhunger. Und so wurde der Geist des Himmels mit den Suempfen der Erde verbunden, und beide leben in ihrem Idealismus mit einem grossen Hauch Illusion verkleidet, um sich und ihre Art zu vollenden. Die Schlange wird wohl immer in Angst zergehen und töten, um leben zu können. Der Asket hingegen wird am Ende gar nichts bewirken...Und die grosse Welt? Die individuelle Welt ist ein verspinnerter kleiner Witz, ein Lächeln am Rand der Zeit, eine Vermutung, eine Beschäftigung und nicht viel mehr...der Rest wird sich selbst neu erfinden – auch ganz ohne meine Art!

(Valbona, Albanien Mai 2017)









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